Die Westküste liegt vor uns, die Sonne brennt auf den Asphalt, der unendlich weit gerade aus zu führen scheint, entlang der rauen Felsküste Westaustraliens. Karen übernimmt die Navigation und leitet Jan und mich, zielsicher zu den Sehenswürdigkeiten in der doch recht eintönigen Landschaft, um unser Orientierungsdefizit auszugleichen. Einsame Buchten zu unserer Linken, weiße Sanddünen zu unserer Rechten und hier und da ein Rivercanyon, der den sonst ausgedorrten Westen mit etwas Wasser versorgt und flammende Sonnenuntergänge Abend für Abend, die mich wirklich immer wieder faszinieren. Doch ständig unter dem Druck einen Job zu finden, was die Freude darüber doch allzu oft bremst. Für einen genauen Einblick in unseren Tagesablauf, möchte auch ich einen äußerst amüsanten Ausschnitt aus Jans digitalem Reisetagebuch zurückgreifen :“Der Tag beginnt meistens mit einem Instantkaffee, mittlerweile hat man sich ja an das Zeug gewöhnt, und versucht den ekelhaften Geschmack mit Milch auszugleichen. Danach geht’s eigentlich auch schon los, nach einem kurzen Blick auf die Karte, der trockenen Aussage, das die nächste Abzweigung nach ca 150km kommt und einem kurzen Stopp bei unserem Freund der Tankstelle, die mal wieder 1,75$ für den Liter „unleaded“ will (man erinnert sich dunkel an Zeiten in Melbourne wo der Sprit noch 1,30$ gekostet ha)t.
Das Bild das sich daraufhin auf dem Highway (Highway muss man sich hier wie ne Landstraße in Deutschland vorstellen, die immer geradeaus geht) unweigerlich in die Augen brennt, sieht folgendermaßen aus:
Links vom Highway, Büsche soweit das Auge reicht, die alle nicht höher sind als einen Meter, dann dieser pfeilgerade graue Strich, der sich Straße schimpft, und rechts daneben spiegelt sich das Bild von der linken Seite. Ein Baum oder ein Straßenschild sind dann schonmal ein Highlight! Darüber erstreckt sich der blaueste Himmel den man je gesehen hat, was allerdings nach spätestens 50km zur Normalität geworden ist! Leider!
Spätestens jetzt schweifen meine Gedanken ab. Das Bild, der Kilometerzähler und ich.
…53,54,55… immer noch blauer Himmel! Dann das erste Highlight des Tages: ein Termitenhügel von sagenhaften 2 Metern türmt sich neben der Straße auf! Im Vorbeifahren denke ich flüchtig darüber nach anzuhalten, umzudrehen und ein Foto zu machen, als mir auffällt, das die Gegend hier voll davon ist. Ich beschließe das ganze auf die nächste Pinkelpause zu verschieben.
….122,123,124,…
Ein dumpfer Klang reißt mich aus meinen Gedanken und ich erblicke die Unmengen von Heuschreckenleichen, die sich auf Windschutzsscheibe und Schutzgitter sammeln. Ich blicke hinüber zu meiner Beifahrerin, die interssiert das Gemetzel an der Fahrzeugfront mitverfolgt. Ich durchbreche das Schweigen und frage nach ihrer Dringlichkeit für eine Toilette. Mit der Antwort „Nein, noch nicht“ ist das Gespräch dann auch schon wieder vorbei und ich versinke wieder in meine Gedankenwelt.
…151,152,153…
Die Ruf meiner Beifahrerin reißt mich aus meinen Gedanken, “da müssen wir abbiegen“! Beherzt versuche ich die 120km/h die ich mittlerweile drauf habe, innerhalb von 200m abzubremsen und schaffe es schließlich auch. Puh! Nächster Halt ist dann in 230km!:(
Mittlerweile meldet sich meine Blase und leider auch mein Darm, die beide ankündigen das sie genau JETZT eine Toilette brauchen. Das Blasenproblem ließe sich sicher auch am nächsten Busch erledigen, wenn da nicht diese Milliarden von Fliegen wären, die sich in Western Australia überall befinden, wo keine befestigte Siedlung ist. Diese machen es einem unmöglich am Highwayrand seine Notdurft zu verrichten. Ich frage meine Beifahrerin wie weit es denn zur nächsten Tankstelle/Roadhouse ist.
Die Antwort „nur noch 130km“ lässt mich innerlich noch mehr leiden. Ich versuche mein schmerzerfülltes Gesicht nicht zu zeigen und zähle weiter fleißig Kilometer und Heuschrecken. Der Sound im Auto ist mittlerweile auf Lily Allen umgeschwenkt, die von „I spent ages giving head!“ singt.
Endlich, nach einer guten Stunde eiserner Selbstkontrolle ist das Roadhouse in Sicht. Ich befahre den Parkplatz mit sicher mehr als der empfohlenen Geschwindigkeit und ziehe die Handbremse noch im Fahren (mittlerweile hat sich mein anfängliches Problem zu einer quasi Katastrophe entwickelt).
Abschnallen und Tür öffnen geschieht in einem Handgriff, jedoch wir d der Versuch aus dem Auto zu steigen, von der Tatsache zerstört, das sich mein TShirt mit dem Fahrersitz und Schweiß vereinigt hat. Ein kurzer Blick auf die die Fahrzeugfront offenbart mir stolze 19 Heuschrecken.
Die Toilette im Roadhouse erweist sich wie immer den Ansprüchen des Deutschen als nicht ausreichend, mal ehrlich, ne Tür zum Abschließen ist doch nicht zuviel verlangt.
Mittlerweile ist es Mittag und wir beschließen noch einen Happen zu essen. Der stolze Hamburgerpreis von 15$ hinterlässt einen bitteren Beigeschmack, und wieder einmal frage ich mich „Was mache ich hier eigentlich?“
Der Rest des Tages verläuft wie gewohnt mit der Suche nach der Bleibe für die Nacht, die wie allzu oft aus Highwayparkplätzen besteht, wo das Wort Klo und fließend Wasser noch ein Fremdwort ist! Da ist der Caravan Park für stolze 42$ die Nacht schon Luxus den man sich einmal alle 3-4 Tage gönnt!“.
So verstreicht eine Woche, noch immer joblos und nun mehr als 700km von Perth entfernt, ist mein Glas langsam halb leer, als ich wie jeden Tag bei unserem Toilettenstop im dazugehörigen Roadhouse mein Arbeitsgesuch dem recht merkwürdig dreinschauenden Manager gequält charmant näher bringe. Da kommt die Zusage wie aus heiterem Himmel, hier im Overlander Roadhouse kann ich in 2 Tagen anfangen, endlich, danke Osterhase!
So begleite ich Karen und Jan noch nach Denham und Monkey Mia in Shark Bay, endlich etwas entspannen, planschen mit den – naja so gut wie wilden Delphinen im Resort in Monkey Mia genießen, toll. Gut, über die erste Vorfreude hinweg kommen nun die Bedenken und meine Fantasie beschert mir zwei schlaflose Nächte, ein Roadhouse im Nirgendwo, das einzige Gebäude im Umkreis von 150km, umringt von verdorrtem Buschland, mit viel Platz um meinen organberaubten Körper verschwinden zu lassen oder an die Fliegen zu verfüttern, da ist auch schon wieder das Bild der Vermisstenanzeige, welches dort tatsächlich an der Kasse hängt in meinem Kopf, ok jetzt tief durchatmen Andre, 1… 2… 3… , uff. Aber nein, das zieh ich jetzt durch, mit Karen und Jan noch schnell einen Notfallplan ausgetüftelt, beginne ich an einem Dienstag meinen Job, 6 Wochen, das kann man schaffen, hoffentlich.
Das Roadhouse selbst ist eine Tankstelle mit Shop und unendlich viel geschmacklosen Nippes, wie Overlander Schneekugeln oder Nagelknipser mit Overlander Logo. Dazu gehört ein Restaurant, das alle frittierten Fast Food Gelüste zu befriedigen weiß. Sowie 12 Zimmer, von der fensterlosen Grotte bis zum En-Suite Room, alles verteilt auf eine quadratische Fläche mit großem Innenhof und das ganze natürlich im äußerst anspruchsvollen Baucontainer Stil. Ich bewohne hier ein eigenes Zimmer von 9qm mit Doppelbett (ja, Luxus im Vergleich zu den letzten Monaten) und darf einen Fernseher, Schrank, Tisch und Stuhl mein eigen nennen. Wie schön.
Bereits 2h nach meiner Ankunft und dem verzweifelten Versuch die Spuren meines Vorgängers aus meinem neuen Heim zu beseitigen, werde ich auch schon zur Arbeit gerufen.
Ich bin hier der neue Cleaner und so ziemlich das „Mädchen für alles“ wenn es um Drecksarbeit geht. Mein normaler Arbeitstag beginnt um 9 Uhr morgens, Toiletten schrubben, Housekeeping, Wäsche waschen, noch mehr Schrubben und mobben, normalerweise bis 12 Uhr mittags. Weiter gehts dann um 4, natürlich mit den Toiletten, über Mülltonnen entleeren und Driveway Fegen, hin zum Auffüllen der Getränkekühlschränke und der Erkenntnis das ein Drink ganze 10 verschiedene Geschmackssorten haben kann und dem Fegen und Mobben des gesamten Roadhouses, zum Schluss statte ich natürlich nochmal meinen neuen besten Freund der Toilette einen Besuch ab. Im Idealfall dauert das ganze bis 9 Uhr abends was natürlich selten der Fall ist. Dabei versuche ich nicht nur den neuen Schmutz zu beseitigen, sondern auch jenen den mein Vorgänger wohl 4 Monate lang ignoriert zu haben scheint, desaströs beschreibt den allgemeinen Zustand des Overlanders wohl am besten. Was am Anfang für lange Arbeitstage sorgt um eine annehmbaren Grundreinheitsgrad zu schaffen, erfreut meinen Chef allerdings weniger. Und so gibt es etliche Diskussionen über die Art und Weise wie Tätigkeiten ausgeführt werden sollten, als auch den Versuch mich über Sauberkeit und Gründlichkeit aufzuklären, was absolut lächerlich ist, und mich wirklich auf die (Wut)Probe stellt.
Für moralische Unterstützung und mein leibliches Wohl sorgen sich jedoch meine Kolleginnen Paddy, die Kiwi-Köchin und Ray die gute Seele des Overlandes, beide mehr Mutterersatz als alles andere versuchen sie mir Russel, meinen Boss vom Hals zu halten. Was besonders gut funktioniert als meine Zimmernachbarin Vicki-Köchin Nr. 2, eine Woche nach mir ankommt, und Russel in ihr ein neues Terroropfer findet, das arme Ding.
Neben den anfänglichen Schwierigkeiten, gibt es leider noch ein weitaus schwerwiegenderes Problem. Flug- und Krabbelviehzeugs, überall, von Sonnenauf- bis untergang. So ist es mir leider nicht möglich einfach mein Zimmer zu verlassen und zu einem Restroom auf der anderen Seite des Innenhofes zu gehen, ohne wie wild mit den Armen zu fuchteln, im Kampf gegen die wirklich mindestens 20 Schmeißfliegen, welche sich sofort auf einen stürzen sobald man einen geschlossen Raum verlässt und die es aber auch nicht interessiert das man fuchtelt. Verschlimmert wird das ganze noch von einer Heuschreckeninvasion und Riesenkakerlaken, wenigstens nicht drinnen aber draußen überall in meinem Weg, HÖLLE.
Es ist wirklich so schlimm das ich zum ersten Mal mein Fliegennetz rausholen muss und ich nun neben meiner Schrubberuniform auch noch einen schwarzen Schleier auf dem Kopf habe, wunderbar …
Und wenn ich mal nicht arbeite, dann spendet mir mein Fernseher mit ganzen 3 Sendern so wunderbare Wärme und viel, viel schlechte Werbung im 2 Minuten Takt, oder ich mache einen Spaziergang der mich fassungslos und schockiert zurückehren lässt, denn hinter dem Stacheldrahtzaun am Ende des Geländes versteckt sich eine illegale Mülldeponie im Buschland welche durch Wind und gelegentlichen Regen den Dreck überall verteilt, das passiert also wenn niemand hinsieht, einfach nur grauenvoll!
So verfliegen die ersten 4 Wochen. Inzwischen bin ich auch Profi an der Kasse und bediene fleißig Kunden, die vorallem am Wochende wie die Heuschreckenschwärme draußen über den Shop drinnen herfallen, da wir das einzige Roadhouse weit und breit sind das 18h/tägl. geöffnet hat und neben einem Restaurant mit Sitzmöglichkeiten auch den Luxus von Handyempfang ermöglicht, natürlich nicht mit meinem Anbieter, wäre ja auch zu schön gewesen. Interessant zu beobachten, die Umgangsweise mit den heutigen Neuzeit-Cowboys, die Pferd gegen Truck getauscht haben, und alle Annehmlichkeiten, wie eine heiße Dusche und literweise schwarzes Gold gratis genießen und dafür einem den ein oder anderen Gefallen tun und wohl die neuen Helden im wilden Westen sind, so so.
Mein Highlight die wenigen Telefonate mit Friedel in Northampton und Berichte aus ihrem dortigen Beach-Bar-Leben, welche mich meine Isolation kurz vergessen lassen. Dann der Wechsel, nachdem ich meine Abreisepläne in 2 Wochen anklingen lasse, kommt auch prompt neuer Backpacker Nachschub. Jan, 21, deutsch und so gar nicht auf meiner Wellenlänge. Naja, immerhin heißt das für mich, ich werde permanent an die Kasse befördert und habe jetzt einen Cleaner-Lehrling, vom Klo zur Kasse, in der Tat ein wahrer Fortschritt, ich freue mich. Meine Abreise rückt langsam näher und ich muss sagen, ich mag es hier sehr, meine 3 neuen Ersatzmütter haben sich ganz fabelhaft um mich gekümmert, wir haben viel gelacht und rumgeblödelt, erfolgreich die Küche in Brand gesteckt, als der Chef nicht da war und die ein oder andere Applecider-Nacht verbracht. Auch wenn ich keine Karriere im Roadhouse Gewerbe ansteuern werde, war die Arbeit, abgesehen von täglichen Wewechen, Hornhaut vom Mobben und ständigen Verbrennung an Armen und Händen an der Auslage, so wie der Atemwege von den ganzen Putzmitteln, wirklich ok. Ich, Mr. Sparkle verlasse nach einem Abschiedsdinner am Mittwoch Morgen, nach 6 Wochen und JEDEN Tag davon gearbeitet, kostenfrei (Vitamin B sei Dank) mit der berühmten roten Buslinie das Overlander Roadhouse, Richtung Friedelchen, Richtung Perth, raus aus der absoluten Isolation, zurück ins Leben, lasse alle Geldnöte hinter mir, entschließe mich nun offiziell Tourist zu sein und freue mich wahnsinnig auf die letzten verbleibenden Tage in Sydney.